Die europäische Integration versteht sich als Friedensprojekt. Wenn man Politik der Europäischen Union unterrichtet, an der Universität und im Bereich der Erwachsenenbildung, dann beginnt man die Erzählung der Europäischen Integration immer mit der Schuman-Erklärung des Jahres 1950. Durch die Zusammenlegung der europäischen Kohle- und Stahlproduktion sollte es gelingen, einen weiteren Krieg zwischen den Erzfeinden Frankreich und Deutschland „nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich zu machen.“
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist der Frieden in Europa einmal mehr prekär geworden. In zahlreichen Diskussionen mit Jugendlichen und Erwachsenen zeigt sich, dass die Rückkehr des Krieges nach Europa zahlreiche Ängste hervorruft. Dabei geht es nicht alleine um die Frage nach der eigenen Sicherheit und den Stellenwert der österreichischen Neutralität, sondern auch darum, welche Rolle die EU bei der Konfliktbeilegung spielen soll und kann. Wirkt das Friedensprojekt Europa noch? Wie einig ist die EU angesichts der Herausforderungen, was kann sie jenen Ländern anbieten, die um Aufnahme angesucht haben, wird sie Friedensstifter oder Konfliktpartei? Vermehrt taucht in den Diskussionen auch die Frage auf, was es für die EU bedeutet, eine „geopolitische Union“ zu sein und die „Sprache der Macht“ zu sprechen, wie es der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borell fordert. In allen Gesprächen zeigt sich immer wieder deutlich, welchen hohen Stellenwert das Friedensprojekt Europa für seine Bürger hat.
„Die EU muss alle Menschen gleichermaßen schützen, die aufgrund von Krieg und Zerstörung ihre Heimat verlassen müssen.“ Das ist eine Forderung, die von Schüler:Innen im Rahmen der EU Future Talks 2022 formuliert wurden. Auch das ist ein zentraler Punkt des europäischen Friedensprojektes: Krieg ist einer der Hauptgründe für Flucht und auch für diese Herausforderung muss die Europäische Union geeint Lösungen finden. Es hat mich beeindruckt, mit welcher Vehemenz die Jugendlichen aus sechs Ländern einen menschenwürdigen und respektvollen Umgang mit Menschen auf der Flucht von den politischen Verantwortungsträgern eingefordert haben – und damit zu ihrer großen Enttäuschung nicht immer auf offene Ohren gestoßen sind.
Europa bedeutet Zusammenarbeit, Gespräch, Kooperation, das Schaffen von Verbindungen, das gemeinsame Erarbeiten von Lösungen über Grenzen hinweg. Aber Europa kann nur funktionieren, wenn seine Bürger – und insbesondere junge Menschen – es zu ihrer Sache machen, europäische Politik diskutieren, europäische Lösungen hinterfragen und auch neue, innovative und bessere Herangehensweisen einfordern und mitentwickeln. Die EU hat als Friedensprojekt eine 70-jährige Geschichte. Es hat aber nur dann eine Zukunft, wenn es auf gemeinsamen Werten gründet und wenn eine offene Debatte darüber geführt wird wie man den Frieden nach Europa zurückbringen kann. Dazu hoffe ich mit meiner Arbeit beitragen zu können.
Doris Wydra ist Politikwissenschafterin an der Universität Salzburg und war bis zum Frühjahr 2022 Executive Director des Salzburg Centre of European Union Studies. Davor war sie im Rahmen von TACIS Projekten der EU in der Ukraine und Russland tätig. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Kooperation der EU mit den östlichen Nachbarländern und EU-Russland-Beziehungen. Seit 2022 forscht sie im Rahmen eines vom FWF und dem Land Salzburg finanzierten Elise-Richter-Forschungsprojektes zu illiberalen Bewegungen in der Europäischen Nachbarschaft. Sie kooperiert zu Fragen der politischen Bildung mit der Volkshochschule Salzburg und dem Salzburger Bildungswerk.
Europa – Kooperation
Europäische Union – Frieden
Brexit – Konsequenz gezielter Desinformation
Grenzen – sollten überwunden werden
Zukunft Europas – verstärkte Kooperation
Österreich – Berge
Politik – idealerweise respektvolle Auseinandersetzung und transparentes Finden von Lösungen
Nationalismus – nichts für mich
Freiheit oder Sicherheit – Freiheit, wann immer möglich; Sicherheit, wo immer nötig
Solidarität – Einstehen füreinander
Junge Menschen – Ideengeber
Corona – gemessen an der Klimakrise das kleinere Problem
Städtetrip oder Urlaub am Land – Urlaub am Land, am liebsten am Berg
Buch oder Film – meistens Buch, manches drückt sich aber besser in Bildern aus
Was mir imponiert – Menschen, die den Mut haben, auch gegen Widerstände für ihre Sache friedlich einzutreten