Im Rahmen der Reihe Arbogaster Fragen am 30. Juni 2021 im Bildungshaus St. Arbogast beleuchtete Erwin Mohr im Gespräch mit Moderator Peter Marte verschiedene Aspekte zum Thema Europa und Zukunft der EU und ging auf die Fragen der Besucherinnen und Besucher ein.
Die EU hat in vielen Bereichen – wie beim Klimaschutz und bei Produktionsstandards– eine Vorreiterrolle und gibt den Takt auf der Welt an. Dies zeigt sich u.a. daran, dass viele Lobbyisten amerikanischer Konzerne mittlerweile in Brüssel tätig sind. Auch die Urteile des Europäischen Gerichtshofes sind weltweit gültig und anerkannt und setzen neue Maßstäbe. Durch strenge EU-Regelungen für Produkte erhöhen sich die Standards auf der ganzen Welt. Der Bereich Kinderarbeit sollte laut Erwin Mohr jedoch noch besser ersichtlich sein, d.h. dass der Konsument/die Konsumentin sofort erkennen kann, ob an der Herstellung des Produkts Kinder beteiligt waren.
Unverbindlichkeit als Gesellschaftsphänomen
Als typisches Phänomen der heutigen Gesellschaft sieht Erwin Mohr die Unverbindlichkeit. Von den Menschen gibt es oft keine klaren Bekenntnisse und mangelnde Solidarität. Das Interesse von jungen Menschen an Politik ist gering, wie u.a. in der geringen Wahlbeteiligung der jungen Generation bei der BREXIT-Abstimmung deutlich wurde. Die Demokratie lebt jedoch von einer regen Beteiligung. Generell sind junge Menschen viel aufgeschlossener und offener gegenüber der EU, aber sie engagieren sich meist weniger, weil sie die EU als Selbstverständlichkeit betrachten. Die älteren Menschen tun sich schwerer mit schnellen Veränderungen und brauchen mehr Zeit. Der versierte Europaexperte vertrat die Meinung, dass sich das Tempo der EU mehr an die Bevölkerung anpassen sollte, z.B. beim Schutz von Minderheiten, bei der Flüchtlingspolitik oder beim Gendern. Zudem gilt zu berücksichtigen, dass die östlichen EU-Mitgliedsländer durchwegs sehr junge Demokratien sind.
Nicht nur Rechte, auch Pflichten für die Bürgerinnen und Bürger
Weiters plädierte Erwin Mohr für die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten. Auch die Bürgerinnen und Bürger sollten ihre Staatsbürgerpflicht erfüllen und nicht nur ihre Rechte in Anspruch nehmen. Das wäre z.B. durch ein freiwilliges Pflichtjahr für Jugendliche und für Pensionisten vor ihrem Pensionsantritt, wie von Richard David Precht vorgeschlagen, vorstellbar. Die Individualisierung der Menschen wird zunehmend zur „Egoisierung“, was ein Problem für unsere Gesellschaft darstellt. So sind die größten Feinde der EU nicht außerhalb der EU, sondern innerhalb der EU. Das Ziel der Anti-EU-Parteien ist nicht mehr der Austritt ihres Mitgliedslandes aus der EU, sondern die Zerstörung der EU von innen durch Blockaden und Angriffe auf die Institutionen.
Der interessante und informative Vormittag mit Erwin Mohr regte zum Nachdenken an und beim anschließenden gemeinsamen Mittagessen in St. Arbogast wurde lebhaft weiterdiskutiert.