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Mein Europa ist ein Europa des Dialogs – Stephan Schweighofer

Die ‚geopolitische Zeitenwende‘, die ihren traurigen Höhepunkt bisher im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine findet, wird in den kommenden Jahren als Katalysator für Veränderungsprozesse in der Europäischen Union wirken. Nicht nur auf politischer, sondern auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene muss ein Dialog über Veränderungen geführt werden, um diese nachhaltig verankern zu können. Die Schule spielt eine wichtige Rolle in der Förderung dieses europäischen Dialogs.

Die EU als supranationale Organisation wird sich aufgrund der gegenwärtigen multiplen Krisen unweigerlich neu positionieren müssen. Denn diese Krisen haben uns beispielsweise gezeigt, dass wirtschaftliche Verflechtungen mit Drittstaaten in bestimmten Bereichen strategischer durchdacht werden müssen, dass eigenständiger europäischen Außen- und Sicherheitspolitik mehr Gewicht verliehen werden muss oder dass die europäische Integration weiterer interner Mechanismen bedarf, um den Artikeln 2 und 3 des Vertrags von Lissabon gerecht zu werden.
In einer demokratischen Gemeinschaft wäre es aber vermessen Verantwortung nur auf dieser Makroebene anzusiedeln. Auch jeder einzelne Bürger*in sollte sich der Verantwortung bewusst sein, die er in der europäischen Gemeinschaft trägt. Damit ist nicht gemeint, jeder müsse direkt politisch aktiv werden. Allerdings sollte versucht werden Veränderungen durch gesellschaftlichen Dialog im Rahmen der eigenen Lebenswelt mitzugestalten. Dass sich die Schule dabei als fruchtbarer Ort erweist, um diesen Prozess zu fördern und nachhaltig in den Schüler*innen zu verankern, ist einleuchtend.
Um so einen europäischen Dialog im Kontext Schule allerdings zu ermöglichen, sollten zwei Gedanken in die Schulrealität Einzug finden: (1) europapolitische Bildung muss breiter gedacht werden und (2) über Themen aus europäischer Perspektive zu diskutieren ist kein Ding der Unmöglichkeit.

Zum einen sollte die Europäische Union in diesem Zusammenhang nicht vorrangig als komplexe bürokratische Institution verstanden werden, sondern vielmehr als identitätsstiftende Gemeinschaft, die auf gemeinsamen demokratischen Werten gründet. Werden in Unterricht also beispielsweise Themen wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit oder Diversität aufgegriffen, so sind das bereits europäische Dimensionen, die in die Schulrealität Einzug finden.
Außerdem ist es auch von hoher Wichtigkeit Kompetenzen wie analytisch-kritisches Denken, Kreativität, Konfliktlösung oder politische Reflexionsfähigkeit zu fördern, die tief im europäischen Gedanken wurzeln. Deklaratives Wissen über Mechanismen und Abläufe der EU als Institution abzuhandeln, sollte nicht im Vordergrund europapolitischer Bildung in der Schule stehen. Denn es ist vorrangig eine kompetente und wertorientierte Zivilgesellschaft, die demokratisches Zusammenleben stärkt und die Europäische Union somit ein Stück weit resilienter macht.

Oft wird auch beklagt, dass die Europäische Union ein zu abstraktes Konstrukt für Schüler*innen sei. Aber auch dabei kann Abhilfe geschaffen werden, wenn man den Gedanken der identitätsstiftenden Gemeinschaft in den Vordergrund stellt. Schule und Unterricht sind heute wie nie zuvor in der Lage gesellschaftliche Themen aus verschiedenen EU-Ländern in Echtzeit zu diskutieren. Dieser Vorteil muss genutzt werden, denn Schüler*innen sind durch soziale Medien gut über Themen informiert, die von europäischer Bedeutung sind. Migration, Klimapolitik oder Arbeitskräftemangel sind hierbei nur beispielhaft zu nennen. Eine Kontextualisierung dieser Themen im Unterricht sowohl aus nationaler, aber vor allem auch aus europäischer Perspektive, ist nicht nur notwendig, sondern stärkt die europäische Integration und schafft Europabewusstsein bei den Lernenden.

Als Europäer*innen sollen und dürfen wir uns aktiv einbringen und Europa auf verschiedenen Ebenen mitgestalten, sodass es stets ein Europa der Vielen – ein Europa des Pluralismus und der Diversität – bleibt. Wenn es in der Schule gelingt, Inhalte und damit verbundene Dialoge auch europäisch zu denken, leistet das einen wertvollen Beitrag zur Identität der Union.

Stephan Schweighofer promoviert an der Universität Salzburg zu European Citizenship Education. Zuvor war er als Lektor an der Universität Rom III im Studiengang ‚Interkulturelle Kommunikation‘ tätig. Er ist seit 2022 Projektleiter des Citzen Advice Project, ein partizipatives Forschungsprojekt, das sich mit europäischen Wertvorstellungen von Schüler*innen beschäftigt und bei dem Teilnehmer*innen mit politischen Entscheidungsträger*innen ins direkte Gespräch kommen können.
Er hat Deutsch und Italienisch auf Lehramt studiert und unterrichtet zusätzlich an der HTL Bau & Design Innsbruck.

 

Wordrap:

Europa – Freiheit

Europäische Union – Mehr als ein politisches System

Grenzen – Im Inneren? Obsolet. Außen? Obligatorisch.

Zukunft Europas – Gemeinsam statt einsam

Freiheit oder Sicherheit – Freiheit UND Sicherheit

Solidarität – Grundwert Europas

Junge Menschen – Sind vollwertige Europäer*innen

Was mir imponiert – Engagement